Alternativlos? – Podiumsdiskussion und Bürgerdialog am 18. Juli 2024 im alten Karlstorbahnhof

Sind der geplante Neubau als solcher und die inhaltlich-organisatorische Ausrichtung des Dokumentationszentrums wirklich alternativlos? Welche Bedingungen müssten erfüllt sein, damit ein breites und tragendes Einverständnis hergestellt werden kann? Vertreterinnen und Vertreter aus Bürgerschaft und Sinti-und-Roma-Verbänden bezogen in der gemeinsamen Veranstaltung der BiBB, der Bürger für Heidelberg und des Stadtteilvereins Alt-Heidelberg Stellung.

Teilnehmer Podiumsdiskussion

V.l.n.r.: Romeo Franz, Margrit Nissen, Daniel Strauß, Kelly Laubinger, Oskar Weiß und Ulrich Winter auf dem Podium. Moderation: Jessica Rink

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich darin einig, dass eine Neuplanung des Dokumentationszentrums – der zentralen Kultureinrichtung aller Sinti und Roma in Deutschland – nur tragfähig sein kann, wenn sie transparent unter Einbeziehung aller Sinti-und-Roma-Verbände und der Heidelberger Bürgerschaft stattfindet. Nur so kann ein breiter Konsens zu Bau und Institution erreicht werden.

Was das eine mit dem anderen oder die einen mit den anderen zu tun hätten, wurde gefragt. Ist das so schwer zu erkennen? Bauvorhaben und Teilhabe an der Ausrichtung des Dokumentationszentrums hängen eng zusammen: Wenn erstens ein Großteil der Community, der aber dem Zentralratsverein nicht angehört, nicht einbezogen wird und mit der Planung nicht einverstanden ist, steht das Vorhaben a priori auf tönernen Füßen. Wenn zweitens weite Teile der Heidelberger Bürgerschaft nicht einverstanden sind mit dem überdimensionierten Neubau und er der geltenden Schutzsatzung für die Altstadt widerspricht, muss der Bau überdacht werden. Das ist keine „Anmaßung“, sondern ein besonnenes Vorgehen angesichts eines Baus, der das Gesicht der denkmalgeschützten Altstadt ein für alle Mal massiv verändern würde.

Die Veranstaltung verlief ruhig und sachlich – so ruhig und sachlich, dass Medienvertreter*innen offenbar nicht verstanden, welche Brisanz hinter den Aussagen steckt. Anstatt sie aufzugreifen, räumten sie lieber dem Lamento des „Bauherrn“ reichlich Platz in der Berichterstattung ein. Der VDSR hatte bereits am Vortag unmissverständliche Worte zur Problematik des Neubaus und der Intransparenz in seiner Pressemitteilung gefunden.

Die wichtigsten Statements der Podiumsteilnehmer:

Kelly Laubinger (Co-Vorsitzende Bundesvereinigung Sinti und Roma) beklagt, dass keine Verbände, die neben dem Zentralrat e.V. existieren, zu den Planungen eingeladen waren. Dabei ist das Dokumentationszentrum eine Facheinrichtung für alle Sinti und Roma. Sie fordert Transparenz und Teilhabe auf Augenhöhe. Sinti und Roma sind eine heterogene Gruppe. Es sollte keine Konkurrenz geben, sondern Vielfalt durch viele weitere Organisationen. In einer Demokratie sollte der Pluralismus unterstützt werden. Trotz fehlender Transparenz unterstützt Laubinger einen Neubau.

Daniel Strauß (Vorsitzender Landesverband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg und Co-Vorsitzender Bundesvereinigung Sinti und Roma) war in den 1980er Jahren an der Konzepterstellung des Dokumentationszentrums beteiligt; er selbst hat das Grundstück in der Altstadt für dessen Sitz gefunden.
Das Zentrum, so Strauß, hat seinen geschützten Rahmen auch durch die Bürgerschaft gehabt. Beispielsweise gab es keine Schmierereien auf den Hauswänden. Es darf nicht über die Köpfe anderer Verbände und der Heidelberger hinweg entschieden werden. Viel wichtiger und sinnvoller ist es, zusammenzuarbeiten und sich zu öffnen.
Was die Architektur betrifft, sind die Heidelberger die Experten. Die inhaltliche Arbeit des Dokumentationszentrums ist einzigartig, doch der geplante Neubau zeigt Abschottung.
Strauß fordert mehr Souveränität in der Berichterstattung und keine Veröffentlichung von Fake News. Es geht in der Kritik nicht um die Existenz des Dokumentationszentrums, sondern um den Baukörper. Die Arbeit von Romani Rose besteht nicht aus Stein. Wichtig ist, kooperativ zu sein, Offenheit, Transparenz und Willkommensein zu signalisieren.

Oskar Weiß (Vorsitzender Sinti Allianz) findet es unabdingbar, dass Bürger*innen in die Planung mit einbezogen werden und sich mit dem Dokumentationszentrum identifizieren können.

Romeo Franz (ehem. MdEP und Generalsekretär der Bundesvereinigung Sinti und Roma) unterstützt das Dokumentationszentrum vorbehaltlos, fordert aber ebenso wie Weiß, dass Bürger*innen mit einbezogen werden und sich identifizieren können. Klar für ihn ist, dass Verbände einbezogen und Transparenz hergestellt werden müssen. Eine Veranstaltung mit Dokumentationszentrum und Zentralrat sollte eingefordert werden.
Der OB, so Franz, hat die Verantwortung, dass es einen offenen Dialog mit den Bürgern gibt. Die Stadt sollte sich auf Augenhöhe mit allen Beteiligten einbringen. Wer Demokratie fordert, muss Demokratie leben!

Ulrich Winter (Stadtteilverein Alt-Heidelberg) moniert, dass das Prozedere an den Interessensgruppen vorbeibewegt wurde und fordert, dass die Planung auf Null gesetzt, ein Meinungsbild aus der Bevölkerung eingeholt und ein runder Tisch für eine neue Planung eingerichtet wird.
Der Verein Alt-Heidelberg fördert kulturelles Leben. Er will das Dokumentationszentrum hier haben – aber nicht so. Ist es ein privates Projekt, wie Herr Zillich von der IBA im Bezirksbeirat sagte? Es wird aber öffentlich finanziert. Ist es also doch ein öffentliches Projekt, wie Emran Elmazi, wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationszentrums, sagt? Dann sollte es auch öffentlich diskutiert werden.

Margrit Nissen (Bürger für Heidelberg) besteht auf der Einhaltung der Gesamtanlagenschutzsatzung (GASS), die auf demokratischem Weg errungen wurde. Eine Hintertür, um den Bestimmungen zu entgehen, ist, „wenn die Veränderung das Bild der Gesamtanlage nur unerheblich oder nur vorübergehend beeinträchtigen würde oder wenn überwiegende Gründe des Gemeinwohls unausweichlich Berücksichtigung verlangen.“
Eine Sandsteinfassade ist nicht unbedingt altstadttypisch. In der unmittelbaren Nähe gibt es 55 denkmalgeschützte Häuser, die nicht aus Sandstein gebaut sind. Der Architektenentwurf zerbricht das Gefüge der Kernaltstadt. Ein Flachdach ist gemäß der GASS verboten.
Prachtbauten kennt man aus der Ständegesellschaft – eine Demokratie hingegen bemüht sich um transparentere Bauten. Der Entwurf signalisiert Abwehr statt Dialog und Austausch.
Die Stadt muss die eigenen Satzungen einhalten und Ausnahmen gründlich und offen diskutieren.

Stimmen aus dem Publikum:

Die Geschichte der GASS ist wichtig zu kennen: Bei der Altstadtsanierung in den 70er und 80er Jahren wurde massiv in die Altstadtsubstanz eingegriffen; es gab heftige Auseinandersetzungen. Die Erhaltung von historischer Bausubstanz und der Struktur wurde mühsam erkämpft, und mit der GASS wurde schließlich das Bild der Altstadt unter Schutz gestellt. Es darf keine neue Phase der Altstadtzerstörung geben!
Formal handelt es sich nicht um einen öffentlichen Bau, weil der Vorhabenträger ein privater Verein ist. Bei der Genehmigung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans muss sich der Verein daher allen Regeln unterwerfen, die für Privatpersonen gelten.

Wir wollen das Dokumentationszentrum in der Altstadt halten und würdigen die Arbeit von Romani Rose für die Menschenrechte. Er steht für Vergangenheitsbewältigung und gegen Diskriminierung, aber er leistet keine soziale Arbeit.

Es geht hier nur um die Architektur, sie ist Sache von Heidelberg. Wenn die Verbände sich beteiligen, sollten sie auch an die Architektur denken. Die RNZ sollte nicht so einseitig berichten und nicht in die Berichte schon Kommentare einweben.

Uns geht es um den Bau! Wie kann so ein Monstrum hier gebaut werden?

Heidelberg war Hauptstadt der Sinti. Wichtig ist das Miteinander, es darf kein Gegeneinander geben.

Es besteht kein Zweifel an der sinnvollen Arbeit des Dokumentationszentrums. Die Besonderheit liegt in der Stadtgestalt und der Natur. Die Planung bedeutet einen tiefen, blutenden Schnitt ins Fleisch der Altstadt. Ein solches Mausoleum ist abzulehnen.

Auch die Stadthallenerweiterung wurde als alternativlos dargestellt. Es braucht kreative Lösungen durch Bürgerschaft und Sinti und Roma sowie eine Bürgerbeteiligung.

Wer sind die Initiatoren? Eine Vermischung von Bau und Funktion macht es schwierig.

Raumprogramm und Bau sind untrennbar.

Nachbarn wurden nicht gefragt. Wenn in der Zwingerstraße eine Tiefgarageneinfahrt gebaut wird, ist das verkehrsplanerischer Unsinn.

Das regelmäßige Verkehrschaos an Wochenenden ist schon jetzt katastrophal.

Schade, dass Romani Rose und Erster Bürgermeister Odszuck nicht anwesend sind. Man löst keine Konflikte, indem man sich verweigert.

Wichtig ist, Brücken zu bauen, denn wir wollen ein gutes Dokumentationszentrum.



Podiumsdiskussion am 18. Juli, 19 Uhr mit namhaften Vertretern von Sinti- und Roma-Verbänden in Deutschland.